Montag, 19. August 2013

Neue Erkenntnisse über den Zoo in uns

NACHTRAG: Dies ist einer der letzten Blogeinträge zum Thema Ernährung und Gesundheit auf dieser Adresse. Alle vergangenen und zukünftigen Einträge zu diesem Thema gibt es künftig auf http://www.urgesundheit.de/. Dieser Blog widmet sich künftig Themen außerhalb von Ernährung.

Heute geht es nicht um meinen eigenen Zoo, sondern den in uns allen ‑ und insbesondere um die Organismen, die bei der Entstehung von Morbus Crohn eine Rolle spielen. Dazu gibt es nämlich eine US-Studie, deren Ergebnisse diesen Monat im Journal of Clinical Gastroenterology veröffentlicht wurden. Rodrick J. Chiodini, Ph.D. (früherer Mitarbeiter der internistischen Abteilung des Texas Tech University Health Sciences Center in El Paso) und Kollegen forschten am Mikrobiom, also der Population aus Mikroorganismen im Darm.

Dabei verglichen sie Biopsien aus dem Darm von 14 Morbus-Crohn-Patienten mit solchen von 6 Patienten ohne Morbus Crohn. Erforscht wurde dabei sowohl das Mikrobiom auf der Darmschleimhaut (mukosal) als auch das unter der Darmschleimhaut (submukosal). Wie Dr. Chiodini mir freundlicherweise in einem Kurzinterview mitteilte, bestand das erste überraschende Ergebnis darin, dass es überhaupt ein submukosales Mikrobiom ‑ und zwar sowohl bei gesundem als auch bei krankem Gewebe ‑ gibt, denn bisher wurde angenommen, dass dieser Bereich bei intakter Schleimhaut relativ steril sein müsste. Er fuhr fort: „Bei Morbus-Crohn-Patienten ist die Zahl der Mikroorganismen unter der Schleimhaut um mehrere hundert Mal höher als bei Nichtbetroffenen.“

Weitere Fakten habe ich diesem Artikel entnommen. Die Haupterkenntnis aus der Studie ist nämlich, dass bei fast allen untersuchten Morbus-Crohn-Patienten unter der Schleimhaut charakteristische Vorkommen von besonderen Genen innerhalb des Mikrobioms existierten. Diese Gene verhelfen den mit ihnen assoziierten Spezies zu besonderer Virulenz (Widerstandsfähigkeit, Lebens- und Vermehrungsfähigkeit). Bei 43% der untersuchten Morbus-Crohn-Patienten waren dies Adhäsions- und Invasionsgene, die mit Proteobakterien assoziiert sind, und bei 50% der Patienten waren es zu Actinobakterien gehörige Transposonen (springende Gene). Interessanterweise schlossen sich die beiden Genvorkommen gegenseitig aus, so dass keiner der Patienten beide Phänomene aufwies. Insgesamt fand man also bei 93% der Morbus-Crohn-Patienten (13 von 14) eine gegenüber der Mukosa und den Vergleichspersonen deutlich erhöhte Zahl besonderer Virulenzgene im submukosalen Bereich; bei 7 Patienten waren zwei Gensequenzen dabei, die zur Identifikation des Mycobacterium avium paratuberculosis eingesetzt werden sind.

Das ist unglaublich, ich möchte fast sagen revolutionär! Damit wird trotz der geringen Größe der Studie eindrucksvoll gezeigt, dass
  1. Mikroorganismen bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Morbus Crohn eine große Rolle, wenn nicht sogar die Rolle schlechthin spielen
  2. Morbus Crohn vermutlich keine einheitliche Entstehungsgeschichte hat, sondern mindestens zwei verschiedene, mit dem Eindringen und der Ausbreitung bestimmter Mikroorganismen in Zusammenhang stehende Wege in Frage kommen und
  3. diejenigen, die schon seit Jahrzehnten bei Morbus Crohn einen Zusammenhang mit dem Mycobacterium avium paratuberculosis vermuten (einer meldepflichtigen Infektion, die bei Rindern eine schwere, tödlich verlaufende Verdauungskrankheit auslöst und über Rindfleisch und Milchprodukte auf den Menschen übertragen werden kann), zumindest teilweise auf dem richtigen Dampfer sind.

Ich vermute, dass die Eindringlinge schon bestimmte Bedingungen vorgefunden haben müssen, zum Beispiel eine durch Antibiotika aus dem Gleichgewicht geratene „Darmflora“ (besser: Mikrobiom, denn es ist, wie wir wissen, kein Garten, sondern ein Zoo!), um sich so erfolgreich und dauerhaft breitmachen und festsetzen zu können. Ich hoffe, dass auf diesem Gebiet weiter geforscht wird ‑ und dass die Pharmaunternehmen nicht so zynisch sind, diese Forschungen absichtlich zu sabotieren. Ich bin sicher: es wäre nicht das erste Mal. Warum die Kuh schlachten, wenn man sie melken kann?